Samstag, 12. Juni 2021

»Aufsatz, den sicheren Weg des Glücks zu finden« von Heinrich von Kleist (K)

War Kleist ein glücklicher Mensch - gar ein Sohn des Glücks? Zumindest hat er sich seine Gedanken darüber gemacht.

In seinem »Aufsatz, den sicheren Weg des Glücks zu finden und ungestört – auch unter den größten Drangsalen des Lebens – ihn zu genießen« (1799) verteidigt Kleist die These, dass das Glück in der Befriedigung über das eigene tugendhafte Leben liegt.

Kleist geht zunächst von der Prämisse aus, dass Glück und materieller Überfluss sich nicht notwendigerweise bedingen: „Wir sehen die Großen dieser Erde im Besitze der Güter dieser Welt. Sie leben in Herrlichkeit und Überfluss, die Schätze der Kunst und der Natur scheine sich um sie und für sie zu versammeln, und darum nennt man sie Günstlinge des Glücks. Aber der Unmut trübt ihre Blicke, der Schmerz bleicht ihre Wangen, der Kummer spricht aus allen ihren Zügen. Dagegen sehen wir einen armen Tagelöhner, der im Schweiße seines Angesichts sein Brot erwirbt; Mangel und Armut umgeben ihn, sein ganzes Leben schein ein ewiges Sorgen und Schaffen und Darben. Aber die Zufriedenheit blickt aus seinen Augen, die Freude lächelt auf seinem Antlitz, Frohsinn und Vergessenheit umschweben die ganze Gestalt.“

So kommt Kleist zum Schluss, dass das, was die Menschen Glück und Unglück nennen, nicht immer so ist, wie es zunächst scheint, „denn bei allen Begünstigungen des äußern Glückes haben wir Tränen in den Augen des erstem, und bei allen Vernachlässigungen desselben, ein Lächeln auf dem Antlitz des andern gesehen.“

Weil also das Glück, das sich auf äußere Dinge gründet, eher unsicher ist, so muss es dort, „wo es auch nur einzig genossen und entbehrt wird“ verankert werden, „im Innern.“ In der Tradition Epikurs stehend behauptet auch Kleist, dass „glücklich zu sein, […] der erste aller unsrer Wünsche [ist], der laut und lebendig aus jeder Ader und jeder Nerve unsers Wesens spricht, der uns durch den ganzen Lauf unsers Lebens begleitet, der schon dunkel in dem ersten kindischen Gedanken unsrer Seele lag und den wir endlich als Greise mit in die Gruft nehmen werden.“

Wo nun aber könnte dieser Wunsch erfüllt werden, wo könnte das das Glück besser sich gründen, als im Inneren, also dort, „wo auch die Werkzeuge seines Genusses, unsre Sinne liegen, wohin die ganze Schöpfung sich bezieht, wo die Welt mit ihren unermesslichen Reizungen im kleinen sich wiederholt?“