Samstag, 20. September 2025

Michael Kohlhaas Interpretationen



Heinrich von Kleists Kohlhaas-Erzählung ist ein besonderes Beispiel dafür, wie eine Angelegenheit von nur relativ geringer Bedeutung in einem Streit in juristische Fänge gerät, die man weniger schmeichelhaft gelegentlich als juristische Maschinerie bezeichnet. An deren Ende bekommt der Kläger in der Erzählung zwar Recht, verliert aber just darauf und in des Wortes direkter Bedeutung seinen Kopf.

Daß es dabei zu Anfang um zwei Pferde ging, für die in moderner Sprechweise die Einfuhrpapiere fehlten, weil nicht bekannt war, daß man sie benötigte, gehört zur Groteske der Geschichte. Deren Tragik entwickelt sich aus dem Umstand, daß besagte Papiere rechtens gar nicht haben verlangt werden dürfen, aber dennoch dazu geführt haben, daß zwei Pferde als Pfand hinterlassen werden mußten, die durch den Pfandnehmer in der Folge nicht gerade zimperlich behandelt wurden. Am Ende forderte der Kläger, Michael Kohlhaas, Schadensersatz für die unrechtmäßige Prozedur einschließlich deren menschliche Folgen.

Da er jedoch auf dem Rechtswege zunächst nicht zum Erfolg kam, weil seine Klage einfach verschlampt oder mit Absicht unterdrückt wurde, griff der Held der Erzählung zum Aufstand. Mit Hilfe seiner Knechte, Genossen unterschiedlicher Prägung und Motivation, jedenfalls unter Ausübung gehöriger Gewalt, tappte er seinerseits in eine juristische Falle, die des Landesfriedensbruches, ein Offizialdelikt nicht eben unbedeutenden Ausmaßes.

Die damit immer verwickelter werdende Geschichte resultiert unter anderem aus den Partikularinteressen der damals involvierten Länder und deren rechtlicher Hoheit - das 16. Jahrhundert, in dem die Geschichte sich ereignete, kannte nur deutsche Länder, kein Deutschland - so daß besagter Held schließlich sogar Martin Luthers Unterstützung für eine Amnestie erbat. Daß der große Martin Luther den armen Kohlhaas an die biblische Feindesvergebung zu erinnern versuchte, aber damit scheiterte, gibt dem rechtlichen Konflikt zusätzlich auch eine religiöse Note.

Mit dieser Amnestie, zu deren Empfehlung sich Luther schließlich durchrang, hatte es, kaum war sie gewährt bzw. in Aussicht gestellt, wiederum ihre eigene Rechtsbesonderheit, weil zu klären war, ob Kohlhaasens Schuld am Landfriedensbruch zu amnestieren oder ihm lediglich ein freies Geleit zum Gerichtsort zu gewähren sei oder beides zugleich, sofern er mit seiner Klage obsiegen würde. Da in die Rechtsklärung wiederum verschiedene deutsche Länder involviert waren, ließ sich voraussehen, daß der anzuwendende Interpretationsspielraum sich auch geographisch vergrößerte.

So berechtigt Kohlhaas' Kampf auch sein mag – Kleist zeigt auf, dass er eindeutig zu weit geht. Der Pferdehändler fragt nicht mehr danach, welche Mittel angemessen sein könnten, sondern stilisiert sich in einem regelrechten Gerechtigkeitswahn zum Helden, der gegen das Böse kämpft:

Er nannte sich einen Statthalter Michaels, des Erzengels, der gekommen sei, an allen, die in dieser Streitsache des Junkers Partei ergreifen würden, mit Feuer und Schwert die Arglist, in welcher die ganze Welt versunken sei, zu bestrafen. Dabei rief er das Volk auf, sich zur Errichtung einer besseren Ordnung der Dinge, an ihn anzuschließen.